Montag, 26. Mai 2008

Nigeria Specials

70er Jahre Musik aus Nigeria scheint hierzulande in zu sein wie nie zuvor. Zumindest wurden in letzter Zeit einige hochwertige Sampler zum Thema veröffentlicht, allen voran das kleine britische Label Soundway mit seiner Nigeria Special Reihe. Eine Serie, in der viel Herzblut steckt und mit der man wohl kaum reich werden kann, vor allem wenn man bedenkt, wie viele Jahre Arbeit darin stecken. Labelchef Miles Cleret begab sich für die Arbeit an den Samplern für mehrere Jahre nach Lagos und Umgebung, um alte Vinylschätze zu bergen, zu restaurieren und aufzubereiten um sie so für ein westliches Publikum zugänglich zu machen. Das Ganze wurde wurde dann in aufwändige Artworks verpackt und mit ausführlichen Linernotes ausgestattet. Mit anderen Worten, es handelt sich hierbei nicht um Wühltischsampler sondern um hochwertige Compilations mit hierzulande bislang unveröffentlichten Aufnahmen.

Nigeria Special: Modern Highlife, Afro-Sounds & Nigerian Blues 1970-76 (Soundway)

Der erste Teil, aufgemacht wahlweise als Doppel CD im mehrfach klappbaren Digipak oder als 2 Doppel LPs, bietet vor allem Highlife, aber auch Funk und Soul. Das Blues im Titel sollte man nicht so ernst nehmen, bzw. das was hier als Blues verstanden wird hat nichts mit dem Desert Blues malischer oder maurischer Prägung zu tun. Dafür gibt es z.B. Celestine Ukwu mit seiner flirrenden Gitarre, die afropsychedelische Akzente setzt. Es ist jedoch grundsätzlich schwierig, hier einzelne Tracks hervorzuheben, denn es handelt sich hier wirklich um ein Schatzkästchen mit 26 unbekannten Perlen, und man würde sich beim Hören am liebsten sofort auf den Weg nach Lagos machen, um sich auf die Suche nach den dazugehörigen Alben zu machen. Einen Vorgeschmack auf das Rock Special bieten die beiden Bands The Funkees (Igbo) und Mono Mono (Yoruba), die mit ihrem brodelnden Funk damals in Konkurrenz zueinander standen. Auch unbedingt erwähnt werden muss hier natürlich Sir Victor Uwaifo & His Melody Maestros. Uwaifo erschaffte seinen ganz eigenen Ekassa genannten Stil, eine Weiterentwicklung des Highlife, angereichert mit Rock'n'Roll und Soul, erwähnenswert auch deshalb, da von Uwaifo eine Anthologie geplant ist.

Nigeria Discofunk Special: The Sound of the Underground Lagos Dancefloor 1974-79 (Soundway)

Sollte man beim ersten Teil das Wort Blues nicht so ernst nehmen, so ist dies beim zweiten Teil das Wort Disco. Schwere Afro Funk Grooves prägen hier das Klangbild, und die haben mit dem was man hierzulande so unter 70er Jahre Disco versteht nichts zu tun. Qualitativ stehen die 9 Tracks denen des ersten Teils in nichts nach und gleich zu Beginn lassen die Sahara Allstars of Jos einen Funkbeat über 7 Minuten köcheln, den sie zusätzlich mit satten Bläsern versehen, aber auch mit flirrenden Gitarren und tollem Schlagzeugspiel, ein Höllengroove, der sich auf die folgenden 8 Stücke überträgt.








Nigeria Rock Special: Psychedelic Afro-Rock & Fuzz Funk in 1970s Nigeria (Soundway)

Im vorerst letzten Teil, dem Rock Special, rücken Gitarre und Schweineorgel in den Vordergrund, während auf das Gebläse verzichtet wird. Rock in Nigeria hatte seinerzeit nichts mit dem uns bekannten Riffrock zu tun, denn prägnante Riffs sucht man hier tatsächlich vergeblich. Rockismen sind also weit und breit nicht in Sicht, denn das Fundament, auf dem die einzelnen Tracks bauen, ist einmal mehr der Funk, angereichtert mit bisweilen extrem verzerrten Gitarren und natürlich jeder Menge Percussion, die für das nötige Afroflair sorgen. Auch hier ist es natürlich schwierig, einzelne Tracks hervorzuheben, dennoch möchte ich einfach mal die beiden Igbo Bands The Wings, die natürlich nichts mit Paul McCartneys Wings zu tun hatten und sich später in The Original Wings umbenannten, die hier auch vertreten sind, und Ofo The Black Company erwähnen. Erstere interpretieren einen alten Igbo Folksong mit einer eingängigen Melodie, die durchaus Popqualitäten aufweist während letztere auf schwere Funkgrooves setzten.


Nigeria 70 - Lagos Jump: Original Heavyweight Afrobeat, Highlife & Afrofunk (Strut)

Aber nicht nur bei Soundway weiß man nigerianische Musik zu schätzen, auch Strut veröffentlichten dieser Tage die Fortsetzung des bereist vor ein paar Jahren veröffentlichten Nigeria 70 Samplers, dieses mal unter dem Titel Nigeria 70: Lagos Jump und im Prinzip finden sich alle Facetten der Nigeria Special Alben hier auf einer CD wieder, aber natürlich mit anderen, ebenfalls hierzulande unveröffentlichten Titeln. Auch was Aufmachung und Ausstattung angeht, lässt man sich im Hause Strut nicht lumpen und somit ist Lagos Jump genauso essentiell wie die Sampler der Konkurrenz von Soundway.
Insgesamt 66 Tracks bieten die hier vorgestellten CDs und zeigen, dass Nigeria auch neben Fela Kuti und Co eine durch und durch großartige Musikszene vorzuweisen hat, der es auf das Vorzüglichste gelingt, westliche Einflüsse zu ganz eigenen Stilen zu entwickeln und völlig eigen und originär erklingen zu lassen. Bleibt zu hoffen, dass neben Uwaifo noch andere Künstler näher beleuchtet werden, verdient hätten es alle.

Mittwoch, 21. Mai 2008

El Hadj N'Diaye - Géej

Wie aus dem Nichts werden manchmal Alben von Musikern veröffentlicht, die schon länger im Geschäft sind, von denen man aber bis dato nichts gehört hatte. El Hadj N'Diaye aus dem Senegal, der bereits seit Mitte/Ende der 90er Jahre aktiv ist, ist so ein Fall. Geboren in eine quasi multikulturelle Famile, die Mutter stammt aus dem Norden des Senegal nahe der Grenze zu Mauretanien und der Vater aus dem südlichen Cassamance Gebiet, erkannte N'Diaye zu Beginn seiner Gesangskarriere, dass Liebeslieder oder Tanzmusik nichts für ihn sind. In seinen Liedern geht es um Korruption, Unterdrückung, den Freiheitskampf der Diola im Cassamance Gebiet oder die Sorgen und Nöte der Tuareg, ebenfalls eine unterdrückte Minderheit im Land.
Der Durchbruch kam iim Jahr 2000 mit Auftritten in Cannes, Berlin und Montreal, was auch dazu führte, dass sein zwei Jahre zuvor erschienenes Debütalbum Thiaroye in Frankreich mit dem Choc du Monde de la Musique Preis ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später wurde das 2. Album Xel mit dem Grand Prix Du Disque De L'Academie Charles Cros ausgezeichnet.
Nach 7 Jahren Pause erschien nun Géej, das dritte Album, und schon das Cover, auf dem ein Fadenkreuz auf einen Jungen, der an einem steinigen Strand entlang läuft, gerichtet wird, zeigt, dass sich die Themen N'Diayes nicht geändert haben. Im Vergleich zu Landsmännern wie Youssou N'Dour oder Cheikh Lô entspricht N'Diaye mehr einem Singer/Songwriter, den landestypischen Mbalax oder andere tanzbare Rhythmen sucht man hier zumindest vergeblich. Zumeist ruhig und zurückhaltend instrumentiert jedoch mit eindringlichem Gesang ausgestattet geht es hier zu Werke. N'Diaye verfügt über eine außergewöhnliche Stimme mit einem hohen Wiedererkennungswert die mal sanft, mal energisch fordernd klingen kann. Gesungen werden die Texte hauptsächlich auf Wolof, der im Senegal am weitesten verbreiteten Sprache, aber stelleweise auch mal auf Englisch, Französisch oder gar einem "wolofisierten" Japanisch. Die musikalische Untermalung besteht meist aus einer Gitarre, einer Ngoni und ein paar Percussion wie gleich im ersten Stück Boor yi, das zusätzlich mit feinen Basslicks aufwartet. In den Stücken Fagaru und mi alla ligéey kommt auch dezent ein Schlagzeug zum Einsatz sowie atmosphärische Akustik- und E-Gitarrenklänge, während er das Titelstück ganz alleine auf seiner Gitarre vorträgt. Das epische N'Guri verzückt durch den perlenden Klang einer Kora und die beiden Stücke Cheick Anta Dio und Jolaa werden durch ein klagendes Cello und einem Saxophon veredelt.
Géej ist ein atmosphärisch dichtes Meisterwerk geworden, bei dem ein Youssou N'Dour, dessen letztes Album auch nicht gerade schlecht war, vor Neid erblassen dürfte. Vielleicht ist es ein Vorteil, wenn man international nicht so bekannt ist und das Glück hat, von einem kleinen Label wie Marabi entdeckt zu werden. Wenn dem so ist, dann hat El Hadj N'Diaye dies in vollem Umfang ausgenutzt.

(Marabi / 2008)

Dienstag, 20. Mai 2008

Nneka - iTunes Live: Berlin Festival - EP

Parallel zum neuen Album No longer at ease erschien am 08. Mai auf iTunes exklusiv eine 6 Track Live EP mit einem Mitschnitt vom Berlin Festival im April dieses Jahres. Wobei EP mit über 40 Minuten Spielzeit leicht untertrieben ist. Geboten werden jeweils 3 Stücke von ihren beiden Alben und die Live-Versionen unterscheiden sich z.T. deutlich von den bekannten Studioversionen. Vor allem Reggae Rhythmen kommen hier noch öfter zum Einsatz was vor allem auch Suffri eine interessante Note verleiht. Suffri, das übersetzt soviel bedeutet wie "Take it easy", ist das Herzstück des Albums und wird von Nneka mit eindringlichen Worten zur Situation im Nigerdelta, zur katastrophalen Umweltzerstörung, für die vor allem die Konzerne Shell und Chevron verantwortlich sind, eingeleitet. Musikalisch überwiegt die Spielfreude, die Beats und Loops, die man vom Album her kennt, werden weitgehend durch "echte" Instrumente ersetzt.
Die 6 Tracks kommen in einigermaßen hochwertiger Qualität als AAC Dateien, codiert mit 256 kbit/s und sind als Ergänzung zum Album auf jeden Fall empfehlenswert.

Tracklist:

The Uncomfortable Truth
Focus
Heartbeat
Your Request
Suffri
Beautiful


Die iTunes Version von No longer at ease hat übrigens noch den Bonutrack Sweet mother und auch die Heartbeat-Single verfügt mit dem Stück Walk the line über einen Track, der es nicht auf das Album geschafft hat. Beide können bei iTunes auch einzeln gekauft werden.

Donnerstag, 15. Mai 2008

Nneka - No Longer At Ease

Ursprünglich sollte das Album Don't worry in Warri heißen, eine Anspielung auf ihre Heimatstadt Warri im Delta-State in Nigeria, die es Dank der Erdölförderung seit Ende der 70er Jahre zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat. Die andere Seite der Medaille ist jedoch eine beispiellose Umweltzerstörung unter deren Folgen die Bevölkerung vor allem im benachbarten Rivers-State bis heute zu leiden hat und für die vor allem auch westliche Unternehmen wie Shell die Verantwortung tragen.

Bereits mit ihrem Debüt Victim of truth, das von der britischen Sunday Times als "As good as 'The Miseducation of Lauryn Hill'" eingestuft wurde, sorgte Nneka, die in den 90er Jahren nach Deutschland übersiedelt ist und seit dem in Hamburg lebt, 2005 für Aufsehen, wenn auch der ganz große Erfolg ausblieb. Das soll sich nun mit dem zweitel Album No longer at ease und der vorab ausgekoppelten Single Heartbeat und dem dazugehörigen Video ändern. In dem Stück geht es nach eigenen Aussagen um das Herz, den Herzschlag, den viele Menschen nicht spüren, obwohl sie leben und auch um Liebe. Als musikalische Untermalung werden dazu Jungle und Drum'n'Bass Elemente der 90er Jahre wiederbelebt und in die Gegenwart übertragen. Herausgekommen ist ein grandioses Wechselspiel zwischen ruhigen, spannungsgeladenen Passagen in den Strophen und einem beinahe manischen Rhythmusgewitter im Refrain.
Auch No longer at ease nahm die inzwischen 28-Jährige mit ihrem langjährigen musikalischen Partner DJ Fahot, der schon das Debüt produziert hatte, auf. Dazu gesellte sich noch der französische Produzent Jean Lamont, der schon u.a. mit Größen wie Salif Keita zusammengearbeitet hatte. Durch diese Kooperation entstand ein musikalische Fundament, auf dem Nneka ihre ganze Kreativität und musikalischen Bandbreite freien Lauf lassen konnte. Dazu gehört auch ihr HipHop Hintergrund, der in Stücken wie Halfcast und Focus zur Geltung kommt, jedoch mit völlig unterschiedlichen Ansätzen. Während in Halfcast monotone Beats und Samples für ein eher düsteres Klangbild sorgen, welche ihr sog. Street Credibility unterstreichen, setzt sie in Focus auf ein einfaches und einprägsames Gitarrenriff, das den Refrain gleich mit übernimmt. Aber auch Soul und R'n'B kommen auf dem Album nicht zu kurz, wie z.B. im wunderbar atmosphärischen Suffri. Im letzen Stück Deadly Combination dominieren dagegen mächtige Beats das Geschehen und unterstreichen noch einmal die Vielfältigkeit dieses Albums, das trotz seine 16 Stücke niemals langweilig wird und eine Weiterentwicklung und Steigerung zum gelungenen Debüt darstellt.

No longer at ease ist ein sehr persönliches Album geworden. Es handelt von Nnekas eigener Geschichte, dem Leben in ihrer Heimat Nigeria, dem multikulturellen Nebeneinander aber auch der Kluft zwischen Arm und Reich und der eingangs erwähnten Umweltverschmutzung als Folge von Profitgier. Doch trotz allem ist Nnekas Musik optimistisch und lebensbejahend und im Booklet kann man die auf öffentlichen Fotos ansonsten meist skeptisch dreinblickende Künstlerin auch mal lächeln sehen. Steht ihr übrigens sehr gut!