Montag, 20. Oktober 2008

Rokia Traoré - Tchamantché

Tchamantché ist für mich mit Sicherheit das mit am meisten Spannung erwartete Album des Jahres. Bereits Ende letzten Jahres schon angekündigt und im Frühjahr in Frankreich veröffentlicht, musste ich mich dann doch bis zum September dieses Jahres gedulden, bis eine englische Version veröffentlicht wurde. Dies ist insofern wichtig, da bei einer französischen Ausgabe vermutlich auf die Übersetzung der Texte oder Linernotes ins Englische verzichtet wird.

5 Jahre liegen zwischen Tchamantché und Bowmboï, dem letzten Studioalbum aus dem Jahr 2003. Hauptgrund für die lange Wartezeit ist sicher die Tatsache, das Rokia Traoré in der Zwischenzeit Mutter geworden ist. Nichtsdestotrotz hat sich die lange Wartezeit gelohnt, so führt Tchamantche das Werk konsequent fort und setzt neue Akzente ohne sich dabei allzusehr vom bisherigen Stil zu entfernen. Dies ist insofern wichtig zu erwähnen, als dass hier zum ersten mal eine E-Gitarre zu hören ist. Rokia Traoré hat sich eine alte Gretsch Gitarre zugelegt und im Vorfeld wurden Vermutungen laut, dass das neue Album deutlich blueslastiger werden würde. Tatsächlich wurden die musikalischen Koordinaten aber nicht weiter westlich ans Ufer des Mississippi gelegt. Die Musik atmet weiterhin den Geist des Niger, die Gitarre sorgt allerdings für eine mehr als interessante neue Nuance und fügt sich perfekt ins musikalische Konzept ein. Dies wird schon im ersten Stück Dounia deutlich, ein Bild von einem Afrika, wie es sein sollte aber nicht ist, das nur mit Gitarre und Gesang beginnt. Eine Liveversion davon konnte man sich im Vorfeld auf ihrer Homepage anschauen und schon damals bin ich vor Ehrfurcht in die Knie gegangen und beim ersten Hören der Albumversion stellte sich spontan ein Déjà Vu Erlebnis ein. Nach 3 Minuten gesellen sich zur Gitarre Ngoni und Percussion und man stellt zusätzlich fest, das Rokias Stimme kräftiger geworden ist. Weit weniger dramatisch aber nicht minder eindringlich ist das folgende Dianfa, das von Vertauen und der Angst vor Verrat handelt. Mit einer einfachen Gitarrenmelodie gelingt es ihr, eine einzigartige Atmosphäre herzustellen, die sich auf das gesamte Album ausbreitet. Noch minimalistischer kommt das in französischer Sprache gesungene Zen daher, das sie mit ungewohnt verführerischer Stimme singt und bei dem sie u.a. von einer Human Beatbox begleitet wird. Es ist übrigens das erste mal, dass sie auf einem Album ein Stück nicht auf Bambara singt. Auch das Liebeslied Aimer hat einen französischen Text. Im rhythmischen Tounka, das vom Reichtum Afrikas handelt, der jedoch nur zu Krieg und Leid führt, wirkt sie fast schon ein bisschen wütend, was aufgrund der Thematik nicht weiter verwundert. Ein weiteres Novum auf diesem Album ist das Einbringen einer Coverversion. Mit gefühlvoller Stimme singt sie die Gershwin Komposition The Man I Love, eine Ode an die große Billie Holiday, verlegt an den Niger. Nicht nur wegen dem Einsatz der Ngoni sondern auch deshalb, da das Stück am Ende um eine Bambara Strophe erweitert wurde. Das Album endet mit A Ou Ni Sou, bei dem sie lediglich von einer Art Steeldrum begleitet wird, und mehr braucht es am Ende auch nicht, um diese wunderbare Stimme zu begleiten.

Tchamantché ist übrigens dem im letzten Jahr verstorbenen Ali Farka Toure gewidmet, der zu Lebzeiten große Stücke auf Rokia Traoré hielt. Und vor dessen besten Alben muss sich Tchamantché nicht im Geringsten verstecken. Album des Jahres? Mindestens!

(Out|Here / 2008)